Jolla SailfishOS
Posted on Mon 06 January 2014 in german
Ein halbes Jahr musste ich warten und jetzt ist das Objekt meiner Begierde endlich da - ein SailfishOS-basierendes
Smartphone der Firma Jolla.
WAS? Nunja, für die Leute, die davon bis jetzt noch nichts gehört haben:
SailfishOS ist ein Linux-basiertes Smartphone-betriebssystem, das auf
dem Mer-projekt basiert. Die Oberfläche ist komplett in Qt designt - was es für mich interessant macht, da ich Qt mag -
und wie ich finde ist es zudem sehr schön.
Mit meinem alten Android war ich schon lange unzufrieden, da Google immer mehr von mir wissen wollte, womit ich nicht einverstanden war, daher war es seit langer Zeit überfällig, dass ich mir ein neues Smartphonebetriebssystem suchte. Mit FirefoxOS hab ich zwar schon ein paar Versuche unternommen, aber da fehlen mir zum einen Teil noch ein paar wichtige Funktionen und zum anderen Teil kann ich mir da die Funktionen nicht selber bauen, weil ich ja dann alles in HTML und CSS machen müsste.
An Sailfish reizt mich zudem die Bedienung, da nichts über Knöpfe funktioniert (außer Powerknopf und Lautstärkeregler), sondern alles über verschiedene Gesten auf dem Display. Aufwecken und Display wieder ausschalten benötigt also nun nicht mehr das umständliche Drücken eines Knopfes.
Hardware
Das Gerät liegt durch seine eckige Form gut in der Hand, wobei ich sagen muss, dass ich bei Smartphones eine runde Form nicht mag. Mein altes HTC Sensation war an den Kanten abgerundet und das hat mir überhaupt nicht zugesagt. Die Knöpfe an der Seite stehen ein bisschen raus, für mein Empfinden noch ein bisschen zu weit, aber ich bin da auch sehr feinfühlig.
Die Kamera an der Rückseite ist jetzt nicht unbedingt der Hit - aber hey, es ist ja auch ein Handy und keine Kamera. Für
mehr als Schnappschüsse nimmt man so ein Gerät eh nicht. Der Blitz hat mich auf dem 30c3 in der dunklen Halle H doch
überrascht, die Motive sind gut ausgeleuchtet.
Die Empfangsqualität sowie Mikrofon/Lautsprecher sind gut, aber da nehmen sich die aktuellen Smartphones eh nichts mehr, oder?
Erster Start
Beim ersten Start war die Einrichtung nicht anderst als bei jedem anderen mobilen Betriebssystem. Ein paar Einstellungen gemacht und schon ist man im WLAN - und gleich ein Update. Dabei hat mir Sailfish vorgeschlagen, dass ich doch ein Backup mache. Ich wurde auch gefragt, ob ich nicht auch gleich die Einstellungen der installierten Apps mitsichern möchte. Irgendwie finde ich ja schon cool, dass ich dafür keine extra App brauche, sondern schon alles an Bord ist.
Ich könnte natürlich auch einfach per rsync ein Backup machen und danach wieder aufspielen (Unix Power!).
Kontakte
Ein Freund hat sich darüber beschwert, dass er seine Kontakte nicht per Google synchronisieren kann, aber was interessiert mich schon Google? Selbst schuld, wenn er sein komplettes Leben auf Google kopiert. Beim Sync mit Owncloud muss man einfach nur den Link seiner Kontakteliste ansurfen, runter laden und öffnen. Felder für Adresse, Bild, Geburtstag, etc. sind alle schon vorhanden.
Seit dem letzten Update (dem 2. OS-Update in 3 Wochen) gibt es auch die Funktion, dass man seine Kontakte von Google importieren kann.
Apps
Die Apps am Anfang waren noch sehr spärlich, es gab vielleicht 20 Stück, die von Jolla bereit gestellt wurden für die allgemein benötigten Sachen wie Email, Uhr, Bildbetrachter, Videobetrachter, Karte, Taschenrechner, etc. Durch die Möglichkeit des Yandex-stores, durch den man Android-apps nachinstallieren kann, wurde mein Smartphone aber sehr schnell voller.
Die Kompatibilität mit den Android-apps finde ich sehr erstaunlich, da bis jetzt alles funktioniert, was ich ausprobiert habe (bis auf Copy-Paste zwischen nativer und Android-app sowie der Android-kamerafunktion). Inzwischen habe ich über den Store Firefox und Opera und per Hand mit den APK's Threema, TinyTiny-RSS und Robin (einen App.net-client) nachinstalliert. Die Installation verläuft problemlos, sobald man das APK erst mal auf dem Jolla hat. Die APK's von einem Androidphone runter zu bekommen ist eine andere Sache... Wobei man nicht nur den von Jolla mitgelieferten Yandex-store benutzen muss, sondern man kann sich über diesen auch noch andere Android-stores dazu installieren.
Wichtig finde ich, dass man zwar die Android-apps installieren kann, aber sie schauen halt einfach unpassend aus -
einfach mistig auf einem SailfishOS. Das wird doch hoffentlich noch mehr Entwickler dazu bringen native Apps für
Sailfish zu schreiben.
Jeden Tag kommen neue native Apps hinzu, so dass ich jetzt einen Subnetzrechner, einen Dropbox-client, einen
Wikipedia-client, eine Taschenlampe und ein Offlinewörterbuch mein Eigen nennen kann.
Es gibt schon 15, 20 Spiele für Sailfish, wobei ich mir nur kurz Snake angeschaut hab. Ganz nett - aber ich brauche
keine Spiele auf meinem Smartphone und deswegen kann ich dazu nicht viel schreiben.
Terminal
Das eingebaute Terminal ist wunderbar, selbst wenn ich den Vergleich mit Android außen vor lasse. Man bekommt eine vollständige Tastatur mit CTRL, ALT, Shift, Space, PGUP, PGDN, ESC und Cursortasten vorgesetzt. Dazu bekommt man noch die extrem praktischen Tasten für etwa pipe und slash, ohne dass man dazu in einen zusätzlichen Tastaturmodus schalten muss.
Gesten
Am Anfang sind die Gesten schon sehr gewöhnungsbedürftig:
- wenn man von ganz oben reinwischt, wird die gerade angezeigte App geschlossen
- von ganz unten werden die Benachrichtigungen gezeigt (Email, SMS, Twitter...)
- von der Seite kommt man in den Hauptbildschirm zurück und die aktive App wird als Kachel angezeigt (läuft aber weiter)
- wenn man im Hauptbildschirm von oben reinwischt, wird das Display ausgeschaltet
- mit einem Doubletap auf das Display wird es wieder aufgeweckt.
Dazu kommt noch, dass man - je nach Funktion - die Kacheln auch nach links und rechts wischen kann, so dass z.B. der Musikplayer das nächste Lied abspielt oder Play/Pause macht.
Nach ca. einer Stunde war ich mit den grundlegenden Gesten vertraut und hab mich dann bei meinem Android gewundert, warum das Teil bei Doubletap nichts macht :)
Konten
Email, Google, Twitter und Facebook kann man zurzeit eintragen. Allerdings bringen die ohne die installierten Apps recht wenig. Die Benachrichtungen für Twitter zeigen nur 10 Tweets an und man kann antworten - Favoriten oder nach Benutzern suchen geht da nicht. Für weitere Funktionen ist man in diesem Punkt leider auf die Android-app angewiesen.
Beim Einrichten eines Kontos für etwa Google fragt Sailfish nach den Berechtigungen, die man dem Konto einräumen möchte. So kann man z.B. erlauben, dass Kontakte von Google importiert werden, aber dass Photos von anderen Apps an Google gesendet werden dürfen (teilen oder ähnliches) kann man explizit abwählen. Das finde ich ein gutes Konzept, da es unter Android ja immer nur alles oder gar nichts gab.
Zu Facebook kann ich nichts sagen, inwieweit die Einbindung ins System geht.
Fazit
Wenn man nicht irgendwelchen außergewöhnlichen Apps braucht, würde ich auf jeden Fall ein Jolla/Sailfish empfehlen! Das UI ist schön, ich möchte nichts anderes mehr haben. Die Gestensteuerung wirkt intuitiv, nachdem man sich eine Stunde mit dem Gerät befasst hat. Zurzeit werden auch schon weitere Apps für häufiger genutzte Dienste wie App.net, Identica, Foursquare, Spotify, IRC, etc. geplant. Einen Status zu App-plänen gibt es hier. Da SailfishOS die Mer-basis von Meego erbt, kann man nur darauf warten, dass die vorhandenen Meego-apps auf Sailfish portiert werden (ich warte da etwa auf gPodder).
Wie man lesen kann, verkauft Jolla in Finnland gerade massig Geräte! Es ist geplant, dass in Zukunft das OS an andere Hardwarehersteller lizenziert wird, so könnte man für besonders Photointeressierte ein Nexus oder ähnliches nehmen. Vom Nexus 7 gibt es ja bereits jetzt Berichte, dass es darauf läuft.
Ich wünsche den Sailors auch weiterhin noch viel Erfolg und auf weitere, erfolgreiche Jahre!
EDIT: Die meisten Apps unterstützen zurzeit noch keinen Landscapemode, was aber bis auf beim Browser nicht weiter schlimm ist. Zudem habe ich mir vor Kurzem noch die App Warehouse geholt, die Apps anbietet, die noch nicht im offiziellen Store drin sind... WOW! Was das alles an Linuxstandardpaketen dabei ist, lässt mich durchaus daran ergötzen. Apache, PostgreSQL, ruby, libpcap, parted, opus...