Living Dolls

Posted on Thu 03 March 2016 in german

Auf Living Dolls: Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen von Natasha Walter bin ich durch den deutschsprachigen, feministischen "Lila-Podcast" aufmerksam geworden. Das Buch wurde dort bereits mehrfach lobend erwähnt, was mich zum Kauf verleitet hat.

Klappentext

Der Klappentext spricht von "rosa Spielzeug", Kinderkleidung mit "eindeutig sexuellen Botschaften", öffentliche Demütigung durch Castingshows und mehr. Die Erwartungen an das Buch waren durch den Podcast und den ansprechenden Klappentext sehr hoch. Schlussendlich hinterlässt es bei mir jedoch einen gespalteten Eindruck.

Der neue Sexismus

Der erste Teil des Buchs besteht aus den folgenden Bereichen: "Jung und süß", "Stripperinnen und Prostituierte", "Mädchen", "Liebe und Sex", "Pornographie" und "Entscheidungen".

Der Bereich "Jung und süß" behandelt das sogenannte Glamour Modeling, bei dem sich junge Frauen in der Disko für Männermagazine halbnackt bis nackt in eindeutigen Posen ablichten lassen. Hier geht es um Wettbewerbe, bei denen die Frauen durch möglichst hohe Textilphobie mehr Punkte erzielen können und ihre Chancen auf einen Sieg steigern. Der "Gewinnerin" eines solchen Wettbewerbs winkt ein Vetrag mit einer Agentur. Hierzulande habe ich in den Diskos so eine Veranstaltung noch nie gesehen. Vielleicht gibt es diese ja an größeren Städten wie Berlin, aber so wie sich das im Buch dargestellt hat, scheint es in England weit verbreitet zu sein.

"Stripperinnen und Prostituierte" widerspricht der oftmals gehörten Behauptung, dass Tätigkeiten in diesem Milieu emanzipatorisch seien. Die Antwort auf "Warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen" wird mir hier allerdings nicht gegeben. Das ganze Kapitel wirkt mir irgendie eingefügt und nicht stimmig zum Rest des Buches passend. Es ist zwar ganz nett, hätte aber eher zu einem anderen Buch, das beispielsweise die Bedingungen für SexarbeiterInnen thematisiert, besser gepasst.

Vom Kapitel "Mädchen" bin ich begeistert. Es wird anhand von Puppen gezeigt, welche Werte Mädchen anhand dieser beigebracht bekommen. Äußerlichkeit. Sexy sein. Schmincken. Tolle Klamotten. Das gleiche Wertebild gilt für Mädchenzeitschriften und auch schon Kinderserien. "Natürlich" müssen Figuren für Kinder schon geschminckt sein und im Minirock rumlaufen. Anhand dieses Kapitels wird meines Erachten nach am ehesten deutlich, warum Mädchen und Frauen internalisieren, dass schön sein ein wichtiger Wert sei, den sie ihr Leben lang verfolgen sollen.

"Liebe und Sex" erzählt unter anderem von 4 jugendlichen Mädchen, die One-Night-Stands festen Beziehungen vorziehen. Sie messen ihren eigenen Wert an möglichst vielen Sexualpartnern und haben kein Verlangen nach Sex verbunden mit Emotionen. Hier wird erklärt, dass auch die zweite Frauenbewegung für mehrere Sexualpartner eingetreten ist, dies jedoch im Bewusstsein gefordert hat, dass sich das Ganze auf einer emotionalen Basis und auf Augenhöhe abspielt. Wann und wie der gedankliche Wechsel davon auf die Anschauungsweise der 4 Mädchen gewechselt hat, bleibt die Autorin leider schuldig. Genau das wäre aber der Punkt gewesen, der mich am meisten interessiert hätte.

Das Kapitel "Pornographie" hat mir am wenigsten gefallen. Es wird mit einer geschichtlichen Betrachtung der Pornographie von feministischer Seite begonnen. Es wird von Alice Schwarzers Kampagne PorNO erzählt, die sich gegen die Pornoindustrie als Ganzes gerichtet haben soll (eine Berichtigung dieser Aussage seitens Alice Schwarzers findet sich in der Emma im Interview mit der Mädchenmannschaft. Titel: EMMA meets "Mädchen": Kein Bock auf Spaltung!).

Einschub Tina Lorenz hat im CRE: Technik Kultur Gesellschaft-Podcast über ihre Magisterarbeit erzählt, deren Inhalt die Geschichte der Pornographie und deren Bedeutung für die Gesellschaft ist. Der interessante Punkt daran ist, dass sich die Darstellung im Film gewandelt hat: Als Frauen noch nicht lohnarbeiten gehen durften, sondern eher als Hausfrau tätig waren, wurden Frauen in Pornos als sehr selbstbewusste, starke Personen charakterisiert, die Handlung und Tempo angeben. Aktuell dagegen scheint der Konsens darin zu bestehen, dass die Frau dem Mann zu dienen hat und ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellt. Also wieder im Kontrast zur Gesellschaft, in der Frauen mehr Freiheiten haben als früher. Ich kann nicht die ganze Geschichte wiedergeben, hört doch einfach mal selbst in den Podcast rein :)

Zudem wurde im Podcast erwähnt, dass Pornographie nicht nur eine körperlich vereinheitlichende Aussage haben kann, sondern eine Diversität beschreibt. Im kommerziellen Bereich mag es durchaus stimmen, dass die SchauspielerInnen nach den gleichen Kriterien ausgesucht werden. Im Amateursektor, in dem Leute privat ihre Videos online stellen, gibt es jedoch eine Vielfalt an Farben, Formen, Geschmäckern, Menschen im Allgemeinen.

Diversität wird auch mit Preisen ausgezeichnet, etwa den Feminist Porn Awards oder den Transgender Erotica Awards. /Einschub

Der neue Determinismus

Die zweite Hälfte des Buches lautet "der neue Determinismus", laut dem aufgrund bestimmter biologischer Gegebenheiten (Unterschiede im Gehirn oder im Hormonhaushalt) Männer und Frauen unterschiedlich sein sollen. Es werden Mythen wie die Mathematikbegabung bei Jungen und Sprachbegabung bei Mädchen oder Stereotype wie "der Anführer" und "die Fürsorgerin" untersucht. Bei den angeblichen Begabungen hatte ich darauf gehofft zu lesen, wie sich diese angeblichen biologischen Gegebenheiten verbreiten, sprich, wie sie von den Eltern und Lehrern weiter verbreitet werden.

Die Darstellung der Stereotype empfinde ich als zu spät in der Entwicklung von Kindern/Jugendlichen, um noch ausschlaggebend zu sein. Wenn Kinder Rollen wie Anführer und Fürsorgerin verstehen, sind ihre stereotypen Rollenbilder meiner Meinung nach schon verinnerlicht. Eine befreundete Erzieherin, die auf einer Fortbildung zum Thema Gender dieses Buch empfohlen bekommen hat, ist der gleichen Meinung. Ich hab es ihr mal ausgeliehen, mal sehen, ob sich ihre Meinung diesbezüglich nach Lektüre geändert hat.

Fazit

Insgesamt hätte ich aufgrund des Buchtitels und Klappentextes mehr in Richtung dem Kapitel "Mädchen" erwartet, das auf sexualisierte Puppen, Kinderkleidung und Ähnliches eingeht. Das in "Living Dolls" erwähnte Buch "Typisch Mädchen...: Prägung in den ersten drei Lebensjahren." von Marianna Grabrucker geht laut Beschreibung von Natasha Walter mehr in die Richtung, die ich von "Living Dolls" erwartet hätte.

Wer das ähnlich empfindet, sollte sich die Initiative "Pink Stinks" näher anschauen, die sich gegen sexualisierte Werbung einsetzt und zahlreiche Beispiele liefert. Ein weiterer Tipp ist der "Lila-Podcast", der femistische Themen aus einem breiten Spektrum bietet und viel Material zur weiteren Vertiefung präsentiert. Meine Wunschliste ist deshalb in letzter Zeit wahnsinnig an Büchern gewachsen :)

Da das Buch nicht die Erwartungen erfüllen konnte, die Klappentext und Titel erzeugt haben. Für Neueinsteiger in das Thema gebe ich dem Buch 3/5 Sterne. Falls man bereits mit feministischen Themen vertraut ist und dieses Buch zur Erweiterung des Wissens heranzieht, kommt das Buch auf 4/5 Sterne.